Neue Therapieansätze in der Behandlung von ALS

Hauptthema beim virtuellen Treffen des ALS- Gesprächskreises Bad Sooden – Allendorf

Erfreut konnten Ingrid Haberland und Dr. Carsten Schröter die große Zahl von 33 Teilnehmerinnen und Teilnehmern am ALS- Gesprächskreis Bad Sooden-Allendorf begrüßen. Grund dafür war sicherlich der angekündigte Vortrag von Prof. Dr. Jan Koch (Spezialambulanz für Motoneuronerkrankungen Klinik für Neurologie, Universitätsmedizin Göttingen) zum Thema „Neue Therapieansätze bei der Amyotrophen Lateralsklerose“.

Worin besteht die „klassische“ Therapie?

Einleitend stellte Dr. Koch die bisher übliche Therapie bei ALS vor. Als krankheitsmodifizierendes Medikament werde das seit Jahren bekannte Riluzol verordnet. Dieses auch als Saft unter dem Namen Teglutik erhältliche Medikament führe sicher zu einem verzögerten Fortschreiten der Erkrankung im Bereich von einigen Monaten bis hin zu einem Jahr. Auch sei die Zeit bis zur Beatmung um durchschnittlich sechs Monate verlängert. Riluzol sollte so früh wie möglich und über die gesamten Dauer der Krankheitsphase eingenommen werden.

Die medikamentöse Therapie werde ergänzt durch die symptomatische Therapie, die zur Linderung von Ängsten, Schmerzen, Faszikulationen, Spastiken, Schlafstörungen u.a. beitrage.

Was gibt es Neues?

Vielleicht um die Erwartungen der Teilnehmenden zu dämpfen, gab der Referent zu Beginn einen kurzen Überblick über den Ablauf der Entwicklung neuer Medikamente. Fazit: Bis neue Medikamente den Betroffenen verordnet werden könnten, vergeht viel Zeit und braucht es hohe Geldsummen. Für Grundlagenforschung, klinische Erprobung und Entscheidungen im Gesundheitswesen würden zwischen 12 und 15 Jahren veranschlagt und ein Budget von bis zu zwei Milliarden US- Dollar benötigt.

Neue Therapiemöglichkeiten ergäben sich aktuell aus der klinischen Erforschung folgender Medikamente, die jedoch in der EU noch nicht zugelassen seien:

Edaravone (zugelassen in den USA, Korea, Japan und der Schweiz) ist ein Antioxidans, das den „Stress“ in den Nervenzellen reduziere und dadurch den Fortschritt der ALS verzögere. Das Medikament ist in der EU nicht zugelassen, weil die positiven Ergebnisse einer klinischen Studie nicht in ausreichend großer Zahl vorhanden waren. Ein Nachteil sei auch gewesen, dass das Präparat nur intervenös über einen längeren Zeitraum verabreicht werden konnte. Trotzdem scheinen nachgelagerte Studien genauere Schlüsse bezüglich der Wirksamkeit von Edaravone zuzulassen, weil u.a. das Medikament nunmehr als Saft gegeben werden kann und damit längere Krankenhausaufenthalte vermieden würden.

Relyvrio (zugelassen für die ALS u.a. in USA, Kanada; EU beantragt) bekämpft den Tod der Nervenzellen und führte in einer klinischen Studie zu dem Ergebnis, dass eine langsamere Verschlechterung des Gesundheitszustands von ALS- Betroffenen festgestellt werden konnte. Dies wurde anhand des ALSFRS-R- scores (ALS Functional Rating Scale- Reversed ist eine Selbstbewertungsskala) nachgewiesen. Überdies trat weniger Lungenversagen auf. Das Medikament besteht im Wesentlichen aus Tauroursodeoxycholsäure (TUDCA) und Natriumphenylbutyrat. Es werde in Tablettenform ein- bis zwei Mal täglich verabreicht. Klinische Studien mit dem Ziel, die Wirksamkeit des Präparats nachzuweisen, würden z. Zt. in Hannover und Jena laufen. Sollten sie erfolgreich sein, könne mit einer Zulassung eventuell 2023 bei uns gerechnet werden. In der Zwischenzeit bestünde für interessierte Patientinnen und Patienten, die Möglichkeit, sich die beiden Wirkstoffe (TUDCA u. Natriumphenylbutyrat d.h. Buttersäure) selbst z. B. über eine internationale Apotheke zu besorgen und unter ärztlicher Betreuung einzunehmen.

Rasagilin (nirgends zugelassen) ist ein gegen Parkinson entwickeltes Medikament. Es bekämpft die Neurodegeneration und führte in einer klinischen Studie dazu, dass auch hier sich der Gesundheitszustand der ALS- Betroffenen statistisch signifikant langsamer verschlechterte als in der mit Placebos behandelten Vergleichsgruppe. Maßstab war auch der ALSFRS-R- score.

Lipid-reiche Ernährung mit Calogen® zielt darauf, das Überleben der Patientinnen und Patienten mittels hochkalorischer Fetternährung zu verlängern. Die Behandlung mit diesem Medikament führe vor allem bei ALS- Erkrankten mit einem schnellen Verlauf zu einer erkennbaren Verzögerung.

Masitinib bekämpft die Entzündungen im Gehirn, stoppe oder heile nicht. In einer ersten klinischen Studie konnte allerdings eine deutliche Verlangsamung des Krankheitsverlaufs beobachtet werden. Die Hoffnungen beruhen nun auf einer größeren Studie, die auch in Göttingen unter Beteiligung des Referenten läuft.

Tofersen ist ein Medikament, das in die Gruppe der Antisense-Oligonukleotide gehört und setzt voraus, dass bei den Betroffenen ein Gentest ergeben hat, dass sie an einer Mutation des Gens SOD1 leiden. Diese Mutation bewirke eine Verklumpung von Eiweiß, die durch falsches Abschreiben der Geninformation bewirkt wird. Der Einsatz von Tofersen zeigte in einer Studie, dass die fehlerhafte Produktion von Eiweiß in der Zelle reduziert werden könne. Jedoch erbrachte die Studie keinen signifikanten Effekt. Dieser wurde aber in der Nachbehandlung der an der Studie beteiligten Patientinnen und Patienten erreicht. Deswegen sei das Medikament (auf Kosten des Herstellers) in einem individuellen Heilversuch möglich. Außerdem sei das Präparat auch in der Testung bezüglich anderer Genmutationen (C9orf72-ASO, FUS-ASOs, Ataxin-2-ASOs).

Hoffnungsschimmer oder schon Hoffnungsstreifen am Horizont?

Ingrid Haberland und Dr. Carsten Schröter dankten Dr. Jan Koch für seinen sehr aufschlussreichen und adressatengerechten Vortrag. Sie durften im Namen der Teilnehmenden an der Videokonferenz feststellen, dass aktuell erfreulicherweise von verschiedenen Seiten an die Behandlung von ALS heran gegangen wird und sich dadurch die Perspektive auf Besserung für bestimmte Gruppen von ALS- Erkrankten ergeben könne. Ob sich für die Betroffenen das Licht am Horizont erhellt, bleibt jedoch ihrer persönlichen Einschätzung überlassen.

Ulrich Germar

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